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Islam im Alltag

Mit dem Fahrrad ins Paradies

Ob einer spirituellen Krise durch das Versprechen von weltlichen Gütern beigekommen werden kann oder diese dadurch noch weiter verstärkt wird, dies dürfte mindestens denkwürdig sein. Zumal es sich hier um eine Religion handelt, dessen Stifter immer wieder offen darauf hinweist, dass es den Lohn für zentrale Aspekte des Glaubens und des Rituals nicht im Diesseits, sondern nur bei Ihm geben wird.

Die zurückgehenden Besucherzahlen bei den Tarawih-Gebeten in diesem Ramadan, die (fehlende) Teilnahme von Jugendlichen an anderen Aktivitäten in Moscheegemeinden führen uns immer häufiger vor Augen, dass auch die muslimischen Gemeinden in einer Krise stecken. Die Ansprache und die Bindung von jungen Muslimen wird schwieriger. Eren Güvercin hat in seinem letzten Post auf FB eine Folge dieser Entwicklung aus einem konkreten, so banalen wie auch exemplarischen Beispiel heraus aufgezeigt: Der Provinzmufti und die Stadtverwaltung der Stadt Konya versprechen Kindern ein Fahrrad, wenn Sie 40 Tage lang zum Morgengebet in die Moschee kommen. Nur ein Beispiel für eine Entwicklung auch hierzulande, das sich im immer häufigeren Einzug von Wettbewerben und Belohnungssystemen, insbesondere für Jugendliche und Kinder, in der religiösen Bildungsarbeit zeigt.

In der „Kampagne“ stechen zwei Aspekte hervor: Einerseits hat man erkannt, dass es ein Problem bei der Ansprache von Jugendlichen und der Verstetigung des Religiösen in ihrem alltäglichen Leben gibt. Ähnliches erleben wir auch hier, betrachtet man die Zahl der aktiven Jugendlichen in den Gemeinden außerhalb des Freitagsgebets. So musste ich selbst zuletzt feststellen, dass in der Miradsch-Nacht in einer der größten und vitalsten Moscheen in Köln an einem Freitagabend gerade einmal ca. 20 Jugendliche in der Moschee waren – zwei von denen hatte ich mitgebracht

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Andererseits fehlt es an wirksamen, vorausschauenden Ideen, wie auf diese Situation reagiert werden kann. Wir begegnen dann häufig Maßnahmen, die nicht zu Ende gedacht und pädagogisch doch eher fragwürdig sind.

Diese „Schnellschüsse“ und „einfachen, finanziellen Lösungen“ als Bewältigungsstrategien häufen sich in den letzten Jahren in der Gemeindearbeit. Kaum einer „Aktivität” im religiösen Kontext wird zugestanden, und das bereits von ihrem Anbieter, aus sich heraus interessant und anziehend zu sein. Dabei unterscheidet sich die kleine Gemeinde nicht vom großen Verband.

Ein grundsätzliches Problembewusstsein gibt es. Nur ist man nicht bereit, eine tiefgründige Debatte darüber zu führen. Entweder wird der Diskurs aus der eigenen Unsicherheit heraus als zersetzend wahrgenommen. Oder es wird befürchtet, dass die Debatte sich auf System- und Statusfragen ausweitet. Stattdessen begnügt man sich damit, den Tag zu retten, den Schein zu wahren, die Statistik zu polieren.

Am Ende fehlt es an der Wirksamkeit und der Beständigkeit. Religion und Religiosität können nicht eingekauft oder als Preis verliehen werden. “Preisnachlässe” und “Rabattaktionen” führen selten zu einem mehr an Spiritualität und dringen nicht zum Herzen des Gegenübers durch.

Ob einer spirituellen Krise durch das Versprechen von weltlichen Gütern beigekommen werden kann oder diese dadurch nur noch weiter verstärkt wird, dürfte mindestens denkwürdig sein. Zumal es sich hier um eine Religion handelt, dessen Stifter immer wieder offen darauf hinweist, dass es den Lohn für zentrale Aspekte des Glaubens und des Rituals nicht im Diesseits, sondern nur bei Ihm geben wird.

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