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Integration ist Vertrauen, auch in Krisenzeiten

Ruine Brand LudwigshafenEs war eine traurige Woche, voll Trauer und Schmerz. Neun Menschen hat Ludwigshafen verloren; erstickt und verbrannt in einem grausamen Brand. Kinder waren es zumeist, die nicht vor den züngelnden Rauchschwaden fliehen konnten. Wie denn auch, hatten sie doch die schwächsten Körper und den jüngsten Lebensgeist in sich. Verwelkt sind sie, Rosen im Feuersturm gleich. Ein Baby wurde aus dem Fenster geworfen, aus Barmherzigkeit und Liebe. Es überlebte und war eines der wenigen Lichtstrahlen dieser Woche. Neun Menschen sind gestorben. Neun Menschen hat Deutschland verloren. Aber Deutschland hat noch viel mehr verloren.

Deutschland hat auch etwas Vertrauen verloren, das Vertrauen seiner türkischstämmigen Migranten. Nicht wegen des Brandes, auch nicht wegen den Ermittlungen. Die Art des Umgangs war es, was die Menschen verstört hat. Es waren ganz einfache Momente, die geprägt haben. Der Besuch des türkischen Ministers für die Auslandstürken in Ludwigshafen war ein solcher Moment, der Besuch des türkischen Ministerpräsidenten war solch ein Moment; aber auch das Fehlen der Bundeskanzlerin war ein solcher.

Brand Ludwigshafen Böhmer Yazicioglu BesuchDie Augen haben nach ihr gesucht. Nicht als eine Form des Schuldeingeständnisses, sondern als eine Form der Umarmung wurde sie erwartet. Es war doch nicht die Zeit für Vorhaltungen. “Ich bin auch für euch da”, hätte dies geheißen, “ich bin auch eure Kanzlerin.” Es wäre eine Geste gewesen, ein Symbol dafür, dass die Regierung es ernst meint mit der Integration. Ein Symbol dafür, dass sie Integration nicht nur als Forderung aufstellt, sondern auch selbst bereit ist, über ihren Schatten zu springen. Fast sieben Tage hatte Frau Merkel dafür Zeit, vergebens wurde gewartet.

Stattdessen hat sie ihr Beileid von der Integrationsbeauftragten, Frau Maria Böhmer, mitteilen lassen. Von der Integrationsbeauftragten, die kurz zuvor den Migranten ein verschärftes Zuwanderungsgesetz schmackhaft machen wollte, eine Integrationsbeauftragte, die einige Wochen zuvor der Hetzkampagne Roland Kochs den Rücken gestärkt hat. Eine Integrationsbeauftragte, die in der Wahrnehmung der Migranten selten für sie da gewesen ist, stattdessen die Botin für noch mehr CDU-Forderungen gewesen ist.

“Man bräuchte jetzt einen Politiker, der als Freund der türkischen Community für Vertrauen wirbt”, hatte der Grünen-Politiker Cem Özdemir SPIEGEL ONLINE gesagt. Böhmer könne das nicht leisten. Sie sei bei “den Deutsch-Türken nicht angekommen”. Recht hat er. Natürlich war die Anteilnahme Frau Böhmers ehrlich und auch wichtig. Sie hätte sicherlich auch einen anderen Stellenwert, wäre die Integrationsbeauftragte vor ein paar Tagen ins Amt gekommen. So wurde sie aber kaum registriert.

Die türkischstämmigen Migranten nahmen aber zur Kenntnis, dass gerade der türkische Staat, den sie sonst zu Recht kritisiert hatten, vor Ort war. Seit Jahrzehnten wurde der türkische Staat von seinen Auslandstürken kritisiert, dafür dass er sich um die Menschen, die er ins Ausland geschickt hatte, nicht kümmerte. Dass er sich weder für kulturelle, noch religiöse Belange seiner eigenen Staatsbürger interessierte. Aber nun war es gerade dieser Staat, der in Ludwigshafen präsent war. Lale Akgün hat Recht damit, wenn sie duch dieses neue Interesse der Türkei an ihren Auslandstürken eine Gefahr für die Integration sieht.

Diese Gefahr besteht jedoch nur, weil der türkische Ministerpräsident mit seinem Erscheinen eine Lücke füllt, die die deutsche Politik offen gelassen hat. Der erhobene Zeigefinger und die Forderungen nach uneingeschränkter Anpassung reichen demnach nicht aus, um die Herzen der türkischstämmigen Migranten zu gewinnen. Nun sind die Särge weg, mit einer Trauerfeier wurden sie in die Türkei geflogen. Einer traurigen Trauerfeier, bei der nach Feststellung des Senders n-tv, „nur wenige Deutsche zu sehen“ waren.

6 Antworten auf „Integration ist Vertrauen, auch in Krisenzeiten“

@Albert,

und wo liegt deiner Meinung nach das Hetzerische an diesem Beitrag. Würdest Du das anführen, wäre es mir auch möglich, auf Deine “Kritik” einzugehen.
Ach ja, Sozialleistungen beziehe ich keine, auch wenn dich das nicht zu interessieren hat.

Abdulgani

Hallo,
es ist immer interessant, andere Eindrücke zu lesen. Deine Ansicht, nach der es doch eine Erwartung gab, dass Frau Merkel kommt, Herrn Topraks Meinung, der den Eindruck hat, das Unglück wird von Herrn Erdogan zum Wahlkampf ausgenutzt, dass die Opfer Aleviten sind, würde unter den Teppich gekehrt und viele mehr. Herr Erdogan, der ja weitere Termine in Deutschland hatte, hat die Gelegenheit genutzt, einen Besuch in Ludwigshafen einzuschieben. Frau Merkel kam nicht dort hin. Wer da war, war Frau Böhmer, Herr Beck und die Bürgermeisterin von Ludwigshafen. Frau Merkel hat deutlich gesagt, dass sie die Bundeskanzlerin aller in Deutschland lebenden Menschen ist. Aber sie kam nicht. Vielleicht ein Zeichen, dass die türkischen Staatsbürger, die hier wohnen, einfach ganz zu uns gehören? Der Brand in Ludwigsburg ist ein sehr tragisches Ereignis. Nur – Frau Merkel wäre nicht gekommen, wenn es deutsche Staatsangehörige gewesen wären, nicht bei italienische, russischen, albanischen, griechischen. Man stellt natürlich die Frage, wann kommt sie? Wenn es 100 Leute sind? 500 ? 1000? Nur bei Bränden oder auch bei Busunfällen mit 20 Toten? Flugzeugabstürzen? Diese Entscheidung möchte ich auch nicht treffen. Ich finde aber O.K., dass sie etwas hat ausrichten lassen. Dass sie hinkommt, habe ich für meinen Teil nicht erwartet. Denn irgendwie habe ich den Eindruck, es wurde erwartet, WEIL türkische Staatsangehörige betroffen sind. Doch warum, wenn die türkischen Staatsangehörigen zu dieser Gesellschaft gehören, wie alle anderen hier lebenden Menschen aller möglichen Nationalitäten auch? Frau Merkel sollte da keinen Unterschied machen. Das heißt nicht, dass es keine Tragödie ist. Das heißt nicht, dass sie nicht um die Menschen, die aus unserer Mitte gerissen wurden trauert.

Übrigens, der “Beitrag” von Albert ist mir völlig unverständlich. Ich fürchte nur, er wird uns nicht erklären, was die Aussage desselben sein soll…

Hallo Dan,

da das meine erste Antwort auf einen Kommentars von Dir ist, erstmal herzlich Willkommen auf meinem Blog. Freut mich, dass du interesse an meinen Beiträgen gefunden hast.

Wie Du sicherlich schon gemerkt hast, ist die ganze Debatte nicht frei von Emotionen (nicht nur auf Migrantenseite). Auch meine Argumentation ist nicht völlig frei von Emotionen, das gebe ich auch offen zu. Ich hoffe, es kommt nicht penetrant herüber, wenn ich wieder den Begriff “Solingen” einbringe. Solingen ist aber nunmal das Paradigma, das angelegt werden muss, um die Emotionen verstehen zu können, die bei einem Wohnhausbrand mit türkischen Bewohnern entstehen.

Und natürlich werden dann auch das was danach geschieht, mit den Ereignissen von damals verglichen. Eines der unvergesslichen Momente von Solingen war nicht nur der Brand und die Toten. Es war auch die penetrante Weigerung von Helmut Kohl, nach Solingen zu fahren, die sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt hat. Und es war auch der Umstand, dass er seinen Außenminister Kinkel zu der Trauerfeier in Deutschland entsandt hat (ein sehr anschaulicher Beitrag dazu kann in Deniz Yücels ” Das Trauma von Mölln nachgelesen werden.

Kein Kniefall sollte es sein, schon gar nicht ein Schuldeingeständnis. Der Besuch von Frau Merkel wäre eine sehr gute Möglichkeit gewesen, dieses Kapitel zu verschließen und den Menschen das zu geben, was sie damals und heute vermisst haben, nämlich, dass sie dazu gehören. Diese Möglichkeit wurde verpasst. Was bleibt, sind die Bilder eines türkischen Ministerpräsidenten vor den Trümmern und nicht der der Bundeskanzlerin Aller.

Mfg

Abdulgani

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