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Diskriminierung

Kontrollen vor Moscheen in Niedersachsen sollen eingestellt werden

Stimmen die Ad-hoc-Meldungen aus Niedersachsen, dann sollen die verdachtsunabhängigen Kontrollen vor Moscheen endlich eingestellt werden. Der niedersächsische Ministerpräsident Wulff soll nun Innenminister Schünemann gebeten haben, von den wiederkehrenden Kontrollen abzusehen, solange es keinen konkreten Verdacht gegen einen der Moscheebesucher gebe.

Stimmen die Ad-hoc-Meldungen aus Niedersachsen, dann sollen die verdachtsunabhängigen Kontrollen vor Moscheen endlich eingestellt werden. Der niedersächsische Ministerpräsident Wulff soll nun Innenminister Schünemann gebeten haben, von den wiederkehrenden Kontrollen abzusehen, solange es keinen konkreten Verdacht gegen einen der Moscheebesucher gebe.

Wie selbstverständlich doch die Bitte des Ministerpräsidenten klingt, Menschen bei ihrer Religionsausübung nicht zu stören, solange es dazu keinen konkreten Verdacht gibt. Dennoch hat es fast ein Jahrzehnt gedauert, bis der Ministerpräsident seinen Innenminister zur Vernunft gerufen hat. Denn die verdachtsunabhängigen Kontrollen vor Moscheen in Niedersachsen stehen für die Betroffenen nicht erst seit letztem Jahr auf der Tagesordnung. Diese diskriminierenden und erniedrigenden Kontrollen werden seit Jahren durchgeführt. Seit Jahren hat aber die notwendige öffentliche Empörung gegenüber diesen Maßnahmen gefehlt.

Dass diese Thematik im letzten Jahr immer wieder in die öffentliche Diskussion kam, ist zweifellos auch dem beherzten Aufgreifen des Themas durch die niedersächsische Landtagsabgeordnete Filiz Polat (Grüne) zu verdanken, die die Kontrollen immer wieder in die Öffentlichkeit und die Landtagstagesordnung gebracht hat.

Mit ihren Anträgen im Landtag Niedersachsen ist etwas mehr Licht in diese, vom Innenministerium hinsichtlich ihres angeblichen „Erfolges“ diffus gehaltenen Maßnahmen gelangt. Aber auch die aktuellen Stellungnahmen des Innenministers zum Thema im Landtag fielen weniger durch ihre klärenden Worte, als vielmehr durch die Falschdarstellung der vermeintlichen Akzeptanz unter den Muslimen und auch die fehlenden Informationen über das Gesamtausmaß dieser Maßnahmen auf.

So stellte der Minister zwar stolz die „Ergebnisse“ dieser Maßnahmen in Form von Haft- und Anzeigezahlen dar, ohne diese jedoch in eine Relation zur Gesamtzahl der Kontrollierten zu setzen und ohne auch Aufschluss darüber zu geben, zu welchem Ergebnis die Straf- und Ordnungswidrigkeitsanzeigen gekommen sind.

Verdachtsunabhängige Kontrollen im Rückblick

Ein Rückblick auf die bisherige Geschichte dieser Kontrollen macht klar, wieso der Innenminister die Gesamtzahl der Kontrollierten bei seinen Antworten im Landtag beflissentlich außen vor lässt: Sie belegen ganz klar die völlige Unverhältnismäßigkeit dieser Maßnahmen.

Zuletzt nannte der Innenminister im Oktober 2005 gegenüber der Frankfurter Rundschau konkrete Zahlen zum Ausmaß dieser Kontrollen. So heißt es in einem Beitrag vom 25.10.2005 mit dem Titel „Niedersachsen kontrolliert Tausende ohne Verdacht“:

„Die niedersächsische Polizei hat bei verdachtsunabhängigen Kontrollen zur Terrorbekämpfung bereits rund 14 000 Personen überprüft. Kontrolliert werde laut Innenminister Uwe Schünemann seit 2003 in der Umgebung von Moscheen und islamischen Kultureinrichtungen.“

Und auch damals schon präsentierte der Innenminister stolz die Ergebnisse:

„Neben den 14 000 Personen seien 6000 Fahrzeuge überprüft worden. Man sei auf eine Person gestoßen, die der Unterstützung des verbotenen Kalifatstaats verdächtig sei. Es seien 16 anderweitig gesuchte Personen verhaftet worden, von denen zehn Geldstrafen nicht bezahlt hatten. Weitere 24 Personen seien festgenommen worden, davon 15 wegen Verstößen gegen das Ausländer- und Asylrecht.“

Setzt man die Verhaftungen bis 2005 zu den aktuellen Zahlungen in Relation, dürften bis heute vier bis fünfmal mehr Moscheegänger kontrolliert worden sein, also ca. 55.000 bis 70.000 Moscheebesucher. An der Wahrnehmung des Ministers, es bestehe eine vermeintliche Akzeptanz dieser Maßnahmen unter den Muslimen, hat sich offensichtlich bis heute nichts geändert:

„Der Innenminister von Niedersachsen, Uwe Schünemann (CDU), hat eine positive Bilanz der Kontrollen von Moscheen in seinem Bundesland gezogen. «Wir haben festgestellt, dass die verdachtsunbhängigen Kontrollen, die wir durchführen, von den Muslimen akzeptiert werden», sagte Schünemann der Netzeitung. Der Minister betonte, nur die unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehende türkische Milli Görüs-Bewegung fühle sich in «ihrem Ziel gestört, Parallelgesellschaften zu schaffen». Insofern treffe man mit den Kontrollen einen «Nerv» im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus. «Und das ist ein Erfolg», so Schünemann.“ (Netzeitung.de vom 14.09.2005)

Innenminister Schünemanns Feststellung, die IGMG fühle sich gestört von diesen Maßnahmen, beruht auf dem Umstand, dass es zu dieser Zeit einzig die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs gewesen ist, die sich aufgrund dieser Kontrollen kritisch an die Öffentlichkeit und an die politisch Verantwortlichen gewandt hat. So hat die IGMG in einem Schreiben vom 16. August 2004 ihre Kritik persönlich an den Innenminister gerichtet und am 02. September 2004 Ministerpräsident Wulff auf die Angelegenheit aufmerksam gemacht. Mit Schreiben vom 13. August 2004 wandte sie sich an Abgeordnete des niedersächsischen Landtags und Bürgerrechtsorganisationen und schließlich mit einer Eingabe auch an den niedersächsischen Landtag.

Leider fand dieser Einsatz keinen öffentlichen Wiederhall, auch nicht in Bürgerrechtskreisen. Der Innenminister bekräftigte in seiner Antwort vom 20. Oktober 2004, weiterhin an diesen Maßnahmen festhalten zu wollen und diese unter der Überschrift „Intensivierung der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus“ weiter zu verfolgen.

Auswirkungen der verdachtsunabhängigen Kontrollen

Die negativen Wirkungen dieser Maßnahmen in der Öffentlichkeit und auf die Muslime blieben bei der Argumentation Schünemanns außen vor. So behauptete der Innenminister schon in besagtem Schreiben, dass die Maßnahmen „in großen Teilen der Bevölkerung positiv aufgenommen“ wurden und selbst der Kreis der Betroffenen „überwiegend Verständnis“ zeigen würde. Was von seiner letzten Feststellung zu halten ist, hat wohl abschließend der Skandal um die verfälschte Aussage des DITIB-Generalsekretärs gezeigt.

Tatsächlich ist die Frustration bei den Betroffenen sehr hoch. Immer wieder müssen sie sich nach ihrem bedeutendsten Wochengebet in eine polizeiliche Kontrolle begeben, die sie in ihrem Umfeld als Gefahrenpotential erscheinen lässt. Sie werden, ohne dass sie sich jemals etwas zu Schulden kommen ließen, wie gefährliche Menschen behandelt. Zudem werden sie während den Kontrollen Zeugen davon, dass nur sie als Muslime diese Kontrolle über sich ergehen lassen müssen, Nicht-Muslime aber durchgewinkt werden. Als einzige Begründung für diese Maßnahmen erscheint ihnen aus diesem Grund ihr Besuch in der Moschee, oder allgemeiner, ihr Muslimsein. Darunter leidet sowohl ihr Vertrauen darauf, dass sie ihr grundgesetzlich gesicherten Rechte auf freie Religionsausübung als Muslime wahrnehmen können, aber auch das Vertrauen gegenüber der Politik, diese als Wahrer auch ihrer Rechte wahrzunehmen.

Auch gesamtgesellschaftlich tragen diese Kontrollen nicht zu einem gesteigerten Sicherheitsgefühl bei der Bevölkerung bei, im Gegenteil. Anwohner der Moscheegemeinden müssen sich die Frage stellen, was für Menschen sich in ihrer Nachbarschaft wohl zum Gebet versammeln und auch die Äußerung des Innenminister auf Ihre aktuelle Anfrage spricht Bände hinsichtlich des vermeintlich fehlenden Generalverdachts gegenüber den Muslimen:

„Die Kontrollen basieren auf der Grundlage der bestehenden Bedrohung durch den internationalen Terrorismus und der Erkenntnis der Sicherheitsbehörden, dass sich potenziell islamistische Gewalttäter an bestimmten Treff- und Sammelpunkten aufhalten. Hierzu gehören nachweislich Moscheen und andere islamische Gebets-, Vereins- und Kulturstätten.“

Genereller könnte ein Verdacht wohl nicht mehr formuliert werden.

Negative Folgen für die Betroffenen

Die Auswirkungen auf die betroffenen Muslime beschränken sich jedoch nicht nur auf die negative gesellschaftliche Wahrnehmung. Auch die Frage hinsichtlich der rechtlichen Konsequenzen dieser Kontrollen für die Betroffenen ist nicht beantwortet. So wissen wir aus den im Jahr 2004 zu diesem Thema noch publizierten Presseerklärungen des LKA Niedersachsens, dass bei vier landesweiten Kontrollaktionen vor Moscheen 902 Moscheegänger mit Beobachtungs- und Feststellungsberichten (Anhaltemeldungen) erfasst wurden. Während schon bezweifelt werden darf, ob überhaupt die rechtlichen Voraussetzungen für solche Maßnahmen erfüllt wurden(§ 163 e StPO), ist bisher auch der Verbleib dieser Berichte nicht geklärt.

Welche fatalen Auswüchse die Berichtspraxis bei solchen Kontrollen annehmen kann, zeigt zum Beispiel der 26. Tätigkeitsbericht 2005 des Landesdatenschutzbeauftragten Baden-Württemberg hinsichtlich der gleichen verdachtsunabhängigen Kontrollen vor Moscheen auf. So traf dieser bei stichprobenartigen Überprüfungen auf 187 Personendaten, die bei einer solchen Kontrolle nach dem Freitagsgebet in die Arbeitsdatei „Politisch motivierte Kriminalität“ des LKA BW als „andere Personen“ gespeichert wurden.

Wie und in welchem Umfang ihre Daten gespeichert wurden, bei wie vielen seit 2004 eine Speicherung, insbesondere mit welcher Begründung erfolgte und mit welchen Konsequenzen die Betroffenen in Niedersachsen, heute und in der Zukunft, rechnen müssen – all dies bleibt für die Betroffenen und für die Öffentlichkeit im Dunkeln.

Zweifellos stehen viele Fragen zu diesem Thema noch offen, vieles wird vom zuständigen Innenminister nicht beantwortet. Eines der Gründe dafür war und ist auch weiterhin die fehlende breite Öffentlichkeit und Sensibilität, selbst in Bürgerrechtskreisen, für diese Thematik. Auch das aktuelle Einlenken und Einschreiten des Ministerpräsidenten ist nicht der Einsicht geschuldet, dass man mit diesen diskriminierenden Maßnahmen Unrecht begangen hat, sondern schlicht und einfach dem öffentlichen Druck, der sich diesmal erst nach Jahren und beschränkt auf dieses Thema, aufgebaut hat. Diskriminierungen aufgrund der Religion oder der Herkunft sind Muslime aber auch weiterhin, zumeist von der Öffentlichkeit unbeachtet und ignoriert, ausgesetzt – und dies nicht nur in Niedersachsen.

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