Kategorien
Entscheidungen Weltanschauung

Urteil: Kein Anspruch auf Einführung von Weltanschauungsunterricht an öffentlichen Schulen

Der Kläger ist eine Weltanschauungsgemeinschaft, die Humanismus und Humanität auf weltlicher Grundlage fördert. Nach seiner Überzeugung besteht ein moderner praktischer Humanismus im Kern darin, dass Menschen ein selbstbestimmtes und verantwortliches Leben führen und einfordern, ohne sich dabei religiösen Glaubensvorstellungen zu unterwerfen.

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 18 K 5288/07

Datum: 19.01.2011
Gericht: Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper: 18. Kammer
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 18 K 5288/07

Tenor: Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Kläger ist eine Weltanschauungsgemeinschaft, die Humanismus und Humanität auf weltlicher Grundlage fördert. Nach seiner Überzeugung besteht ein moderner praktischer Humanismus im Kern darin, dass Menschen ein selbstbestimmtes und verantwortliches Leben führen und einfordern, ohne sich dabei religiösen Glaubensvorstellungen zu unterwerfen. Durch Gesetz vom 15. Mai 1956 (GV. NW. 1956, Seite 154) wurde dem Kläger noch unter dem Namen “G” die Rechte einer Körperschaft des Öffentlichen Rechts verliehen.

Unter dem 20. Februar 2006 stellte der Kläger beim Ministerium für Schule und Weiterbildung den Antrag, Humanistische Lebenskunde als Unterrichtsfach an ausgewählten Schulen des Landes NRW einzuführen. Diesem Antrag entsprach das Ministerium nicht und teilte dies dem Kläger durch Schreiben vom 17. Juli 2007 mit.

Am 24. November 2007 hat der Kläger Klage erhoben. Er macht geltend, der Begriff der Religion in § 31 Abs. 1 SchulG, Art. 7 Abs. 3 GG und Art. 14 Abs. 1 Verf. NRW umfasse auch Weltanschauungen und enthalte kein kirchliches Privileg. Dies gehe auch aus Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 137 WRV hervor, die Religion und Weltanschauung als gleichberechtigt behandelten.

Der Kläger beantragt,

das Schreiben vom 17. Juli 2007 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, Humanistische Lebenskunde als ordentliches Lehrfach in den Fächerkanon der Öffentlichen Schulen des Landes Nordrhein-Westfalen aufzunehmen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und tritt dem Begehren entgegen.

Zum weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der überreichten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass Humanistische Lebenskunde als ordentliches Lehrfach in den Fächerkanon der Öffentlichen Schulen des Landes NRW aufgenommen wird.

Die juristische Bewertung des vom Kläger erhobenen Anspruchs erfordert zunächst eine Bestimmung des Regelungsbereichs der Normen, die sich dem in Rede stehenden Themenkreis widmen: Art. 4 Abs. 1 regelt die Freiheit des Glaubens, des Gewissens sowie die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses. Gewährleistet werden innere Überzeugungen und deren Äußerung, mithin Lebensfelder, die vorliegend nicht tangiert sind. Innere Überzeugungen stehen vorliegend nicht im Streit; sie sind auch regelmäßig gesellschaftlich irrelevant. Auch steht vorliegend nicht die Äußerung einer inneren Überzeugung in Rede. Der Kläger ist nicht gehindert, seine Weltanschauung kundzutun. Ihm kommt es vielmehr darauf an, ein bestimmtes Forum – die Schule – für eine Kundgabe zu erhalten. Ein bestimmtes Forum für das Bekenntnis einer inneren Überzeugung gewährleistet Art. 4 Abs. 1 GG indes nicht. Auch kann der Kläger den geltend gemachten Anspruch nicht aus Art. 4 Abs. 2 GG ableiten, der die Ausübung einer Religion, soweit dies über das reine Bekennen hinausreicht, regelt und verbürgt. Liturgische oder ähnliche Abläufe stehen nicht im Streit. Der Kläger möchte lediglich ein bestimmtes und einflussversprechendes Forum zur Verfügung gestellt erhalten, um die von ihm für richtig erachteten Inhalte jungen Menschen zu vermitteln. Dieses Verhalten ist jedoch eher einer missionarischen als einer religionsausübenden Tätigkeit zuzuordnen.

Auch Art. 137 WRV, der über Art. 140 GG weiterhin Geltung hat, spricht den im vorliegenden Fall erhobenen Anspruch nicht an. Art. 137 GG regelt in seinem Absatz 1 die Trennung von Staat und Kirche, in den Absätzen 27 die Organisationsform von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften, deren Selbstverwaltungsbefugnisse und das Steuererhebungsrecht von Religionsgesellschaften. Der Themenkreis Öffentliche Schule und Weltanschauungsunterricht wird hier nicht aufgegriffen.

Mit dem in Rede stehenden Problemkreis beschäftigt sich allerdings Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG, der in seinem Kern inhaltsgleich Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Verf. NRW und § 31 Abs. 1 Satz 1 SchulG ist und sagt, dass Religionsunterricht an Öffentlichen Schulen mit Ausnahme der Weltanschauungsschulen (Bekenntnisfreien Schulen) ordentliches Lehrfach ist. Nur aus diesem Regelungsrahmen ist ein etwaiger Anspruch des Klägers ableitbar. Art. 4 GG und Art. 137 WRV helfen hier auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Gesamtregelung, wie diese auch immer zu bestimmen sein mögen, nicht weiter.

Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG hat auch für den Kläger als Körperschaft des Öffentlichen Rechts Geltung. Der Kläger wurzelt in dieser Rechtsform nicht im staatlichen Bereich mit der Folge, dass er das Recht aus Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG reklamieren kann.

Allerdings lässt sich aus dieser Verfassungsnorm ein Rechtsanspruch darauf, dass der vom Kläger favorisierte Weltanschauungsunterricht als ordentliches Lehrfach an Öffentlichen Schulen eingeführt wird, nicht ableiten. Die Formulierung des Gesetzeswortlauts, dass Religionsunterricht ordentliches Lehrfach ist, ist eindeutig. Die vom Kläger vertretene Weltanschauung ist nicht gleichbedeutend mit Religion oder gar eine Spielart derselben, sondern ein aliud. Ungeachtet der Frage, dass eine allgemein anerkannte Definition der Religion bislang nicht gelungen ist, kann jedoch aus Art. 4 Abs. 2 GG abgeleitet werden, dass der Verfassungsgeber dem von ihm verwandten Religionsbegriff einen substanzialisierten oder essentialistischen Gehalt beigemessen hat, der das Heilige, Transzendente, Absolute und Numinose umschließt. Dieser quasi überirdische Ansatz fehlt in der vom Kläger vertretenen Weltanschauung, die auf einen erdbezogenen Humanismus ohne mystischen, überirdischen Bezug gerichtet ist, indem das Streben nach Glück und Zufriedenheit mit der Einsicht in die allen Menschen gemeinsame Verantwortung verbunden wird – die Kunst der Seelenruhe in irdisch-praktischer Konkordanz. Auch eine Gesetzesauslegung dahingehend, die vom Kläger repräsentierte Weltanschauung in den Normbereich des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG einzubeziehen, ist rechtlich nicht möglich. Der Gesetzgeber hat in Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 137 Abs. 6 WRV hinsichtlich der Weltanschauungen und deren Vertreter Regelungen getroffen, im Rahmen des Art. 7 GG hingegen Weltanschauungen unerwähnt gelassen. Hieraus kann nur der Schluss gezogen werden, dass die Beschränkung auf Religionsunterricht mit Bedacht und nicht zufällig geschehen ist mit der Folge, dass weder Sinn und Zweck noch das gesamte Regelungsgefüge eine dem Kläger günstige Auslegung gestatten. Kooperationspartner des Staates im Sinne des Art. 7 Abs. 3 GG kann nur eine Religionsgemeinschaft, nicht hingegen die durch den Kläger repräsentierte Weltanschauungsgemeinschaft sein (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 14. September 2005 – 7 UE 2223/04 , zitiert nach juris). Das Grundgesetz privilegiert insoweit Religionsgemeinschaften und grenzt Weltanschauungsgemeinschaften wie den Kläger als Einflussfaktor im Bereich der Öffentlichen Schulen aus.

Eine Gleichbehandlung mit Religionsgemeinschaften im Rahmen des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG kann der Kläger nicht beanspruchen. Die Frage eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG stellt sich nicht, da die Beschränkung, dass nur Religionsunterricht ordentliches Lehrfach an Öffentlichen Schulen ist, auf einer dem Art. 3 GG ranggleichen Ebene in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG geregelt ist. Angesichts dieser Ranggleichheit liegt folglich auch kein Verstoß gegen das Gebot der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates vor, wenn Weltanschauungsunterricht im Fächerkanon der Öffentlichen Schulen in NRW außerhalb der Bekenntnisfreien Schulen unberücksichtigt bleibt (a. A. offenbar: Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 15. Dezember 2005 – 287/03 , zitiert nach juris). Im Rahmen des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 hat der Verfassungsgeber seine weltanschaulich-religiöse Neutralität verlassen, indem er – historisch bedingt durch die allgemeinen Verhältnisse im unmittelbaren Anschluss an das Ende des 2. Weltkrieges – Religionsgesellschaften gegenüber Weltanschauungsgemeinschaften privilegiert hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.